Die unbequeme Wahrheit über Verantwortung
Doch was, wenn genau diese Sätze der Ursprung aller persönlichen Stagnation sind? Was, wenn die Idee, dass das Schicksal willkürlich zuschlägt, nichts weiter als ein kollektiver Irrtum ist?
Das Prinzip der Selbstverantwortung – kurz und radikal
Im Kern bedeutet Selbstverantwortung:
Alles, was im eigenen Leben geschieht, ist das Ergebnis eigener Entscheidungen – bewusst oder unbewusst.
Es ist ein Prinzip, das auf Eigenmacht basiert, nicht auf Schuld. Wer sich die volle Verantwortung für sein Lebennimmt, hört auf, sich selbst als Opfer zu sehen. Er wird Akteur. Lenker. Entscheider.
Doch genau das fällt schwer. Warum?
Gesellschaftliche Bequemlichkeit: Die Kultur der Schuldverschiebung
In der westlichen Welt hat sich ein subtiler kultureller Konsens eingeschlichen: Schuld sind immer die anderen. Die Eltern. Der Staat. Die Wirtschaft. Die Ex. Die Gene. Der Chef. Der Algorithmus.
Die Verantwortung zu delegieren fühlt sich oft leichter an als sie zu tragen. Doch diese kurzfristige Entlastung hat einen hohen Preis: den Verlust innerer Stärke und Selbstbestimmung.
Systemisch betrachtet entsteht genau hier ein Verstoß gegen die Ordnung. Und dieser bleibt nicht folgenlos.
Systemische Ordnung: Warum jedes Handeln Konsequenzen hat
In der systemischen Arbeit – insbesondere in Aufstellungsarbeit und tiefenpsychologisch orientierter Systemtheorie – wird Verantwortung nicht moralisch bewertet, sondern als energetische und systemische Realität verstanden.
Das Ordnungsprinzip besagt:
Wer Verantwortung übernimmt, kommt in seine Kraft. Wer sie ablehnt, erzeugt Unordnung – und damit persönliche oder familiäre Belastungen.
Diese Ordnung ist nicht verhandelbar. Wer sich ihr entzieht, zieht Konsequenzen nach sich – psychisch, emotional, manchmal sogar körperlich oder finanziell.
Was Selbstverantwortung nicht bedeutet
So wichtig es ist, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen – genauso wichtig ist es, nicht Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die außerhalb des eigenen Einflussbereichs liegen.
Selbstverantwortung heißt nicht, dass man:
- für das Verhalten anderer Menschen verantwortlich ist
- für das Leid oder die Traumata anderer Menschen zuständig ist
- die Fehler der eigenen Eltern korrigieren muss
- familiäre oder kollektive Lasten tragen muss
- die Probleme der Partnerin, des Partners oder der Kinder lösen muss
- sich für Dinge rechtfertigen muss, auf die man keinen Einfluss hatte
Wer Verantwortung für etwas übernimmt, das nicht zur eigenen Zuständigkeit gehört, begeht systemisch gesehen einen Grenzübertritt. Und dieser ist ebenso problematisch wie das Verweigern von echter Verantwortung.
Denn:
Falsche Verantwortung lähmt – richtige Verantwortung befreit.
Besonders in familiären Systemen zeigt sich dieses Phänomen häufig:
Kinder, die emotionale Verantwortung für die Eheprobleme ihrer Eltern tragen. Erwachsene, die meinen, das Schicksal ihrer Großeltern wiedergutmachen zu müssen. Menschen, die sich verpflichtet fühlen, das „Familienkarma“ zu erlösen.
Systemisch ist klar:
Jeder trägt nur, was zu ihm gehört – nicht mehr und nicht weniger.
Die Rolle des Schicksals: Kein Zufall, sondern Rückmeldung
Der Begriff „Schicksal“ wirkt in einer rationalen Welt antiquiert. Doch im systemischen Verständnis beschreibt er eine Art von übergeordneter Rückkopplung – das Ergebnis des eigenen Handelns in Wechselwirkung mit dem größeren Ganzen.
Was wir „Schicksal“ nennen, ist oft nichts weiter als die Summe von Entscheidungen, die über Jahre hinweg getroffen oder eben unterlassen wurden.
Beispiel:
- Wer sich nie um seine Gesundheit kümmert, erlebt früher oder später körperliche Konsequenzen.
- Wer Verantwortung in Beziehungen meidet, wird mit wiederkehrenden Trennungsmustern konfrontiert.
- Wer berufliche Entscheidungen aufschiebt, begegnet Frust, Stillstand oder Burnout.
Schicksal ist selten willkürlich – es ist oft die logische Konsequenz des eigenen Lebensstils.
Die Illusion der Schuld und das Missverständnis von Verantwortung
Viele Menschen meiden Verantwortung, weil sie sie mit Schuld verwechseln. Doch die systemische Perspektive unterscheidet klar:
- Schuld = moralisches Urteil, oft mit Scham besetzt
- Verantwortung = Anerkennung der eigenen Handlungsfähigkeit, ohne Schuldzuweisung
Wer Verantwortung übernimmt, befreit sich von Schuld. Es geht nicht darum, sich selbst zu verurteilen, sondern darum, die eigene Macht anzuerkennen.
Die Kraft der radikalen Selbstverantwortung
Sobald ein Mensch die Verantwortung vollständig übernimmt, geschieht etwas Erstaunliches:
Er wird innerlich frei.
Denn wer für alles in seinem Leben selbst zuständig ist, muss auf nichts mehr warten. Nicht auf Erlösung. Nicht auf Rache. Nicht auf Gerechtigkeit.
Selbstverantwortung ist der direkteste Weg zur persönlichen Souveränität.
Die Schattenseite: Warum Verantwortung Angst macht
Radikale Selbstverantwortung fordert. Sie bedeutet:
- sich nicht mehr hinter Ausreden zu verstecken
- Vergangenheit und Gegenwart ehrlich zu betrachten
- Entscheidungen zu treffen und ihre Konsequenzen zu tragen
Das kann Angst machen – denn es nimmt einem auch den Trost des „Ich konnte ja nichts dafür“.
Doch genau diese Angst ist oft das Tor zur persönlichen Entwicklung.
Systemisch denken – systemisch leben
Wer das Prinzip von Schicksal und Selbstverantwortung integriert, lebt systemisch. Das bedeutet:
✅ Entscheidungen werden bewusst getroffen
✅ Eigenes Verhalten wird reflektiert
✅ Opferrollen werden erkannt und verlassen
✅ Verantwortung wird nicht nur übernommen, sondern aktiv gelebt
✅ Grenzen werden gewahrt: zwischen dem, was zu einem gehört – und dem, was bei anderen bleiben darf
Fazit: Keine Ausreden mehr – und das ist gut so
Das Leben ist kein Zufallsprodukt. Auch wenn äußere Umstände Einfluss nehmen – am Ende zählt immer die eigene Reaktion darauf.
Das Ordnungsprinzip „Schicksal und Selbstverantwortung“ ist ein Weckruf. Ein systemisches Gesetz, das Klarheit schafft – und Kraft.
Wer Verantwortung übernimmt, nimmt das Steuer in die Hand.
Und wer das Steuer in der Hand hat, muss nie wieder sagen: „Ich konnte ja nichts dafür.“
🔚 Epilog: Verantwortung ist unbequem – aber sie ist die einzige echte Freiheit
Es gibt viele Wege, sich selbst kleinzuhalten. Schuldzuweisungen, Ausreden, die Hoffnung auf Wunder.
Doch nur einen Weg zur inneren Freiheit: Volle Selbstverantwortung – bei gleichzeitigem Respekt vor den Grenzen.
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ (Viktor Frankl)
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